Das Programm des steirischen herbst 98


Die vergangenen Wochen österreichischer Kultur- und Medienwirklichkeit waren geprägt von bewußter medialer Skandalisierung und Diffamierung von Künstlern und künstlerischen Arbeiten. Die herabwürdigende, unqualifizierte und instrumentalisierende Argumentation gegen zeitgenössische Kunst stehen einem selbsternannten Kulturstaat nicht nur schlecht zu Gesicht, sondern sind möglicherweise sogar charakteristisch für dessen Funktionieren unter den Bedingungen der Mediengesellschaft. Einerseits nämlich mobilisiert die Mediengesellschaft mit dieser Methode eine uninformierte Öffentlichkeit gegen die Kunst, andererseits aber räumt sie der Kunst überhaupt erst um den Preis solcher Entdifferenzierung einen Platz in der Öffentlichkeit ein: Der selbsternannte Kulturstaat bezieht seine Legitimation gerade aus der medialen Skandalisierung, ihm gerät noch seine Kunstfeindlichkeit zur Kultur!

Ob man versucht, die Kunst vor solchen medialen Übergriffen zu verwahren, ob man zynisch den willkommenen Nebeneffekt der Publizität und der Wertsteigerung nutzt, ob man sich auf das Gebiet der Skandalkunst, der Großkunst, der Repräsentationskunst einläßt, ob man die Mechanismen der "Mediendemokratiekunst" (Christoph Schlingensief) bewußt als Spielmaterial für die eigenen künstlerischen und politischen Strategien einsetzt - die Medienöffentlichkeit mit ihren Anschlußmöglichkeiten, Wirklichkeitskonstruktionen und Wirkungsweisen ist längst zur unhintergehbaren Produktionsvoraussetzung heutiger künstlerischer Arbeit geworden. Diesem Tatbestand tragen zahlreiche Werke und Projekte, die für den diesjährigen steirischen herbst geschaffen wurden, auf sehr unterschiedliche Art und Weise Rechung. Sie machen den Medienraum zu ihrem Operationsfeld, kritisieren seine Macht und Folgen für die Öffentlichkeit, bedienen sich ästhetisch und inhaltlich bei seinen Formen oder folgen den Potentialen seiner weniger gewinnträchtigen Verzweigungen.

Mit dem Projekt "Kunst und globale Medien" verläßt der steirische herbst die Räume, die der (bildenden) Kunst traditionell zugedacht werden - das Museum, die Galerie. Künstlerische Arbeiten stellen sich nicht mehr dem kontemplativ gestimmten Besucher einer Ausstellung zur Verfügung, sie können dem zerstreuten Leser/Betrachter nur vereinzelt, unvermittelt und im Kontext des jeweiligen Mediums als Intervention sichtbar werden. Die eingeladenen KünstlerInnen und TheoretikerInnen präsentieren ihre Arbeit über die Medien also der Logik des Projektes entsprechend in den Medien selbst: in nationalen und internationalen Tageszeitungen, europaweit auf Plakatwänden, in den elektronischen Medien Radio und Fernsehen bis zum Internet.

Der kritische Ansatz dieser "Versuchsanordnung" über die Wirkungsweisen der Medien liegt darin, daß sie künstlerisch wie wissenschaftlich die durch eine globale Ökonomie und globale Massenmedien sich verändernden sozialen Strukturen, das Entstehen neuer sozialer Kommunikation, neuer Formen der Zentralisation, neuer ökonomischer Mächte beleuchtet. Es geht also nicht darum, "neue Medien" künstlerisch zu besetzen, technologische Entwicklung und deren künstlerische Anwendbarkeit zu feiern, sondern die Konstruktion von Öffentlichkeit, Politik, Gesellschaft, Wirklichkeit, wie sie in zunehmendem Maße von den Massenmedien definiert wird und unser Alltagsleben bestimmt, ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken.

Von den medialen, gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen sind die zahlreichen Vorhaben des steirischen herbst 98 geprägt, die an den Orten des Festivals und in dessen zeitlichen Rahmen stattfinden: Ausstellungen wie "Kunst ohne Unikat" der Neuen Galerie, "mise en scène" des Grazer Kunstvereins, "öffentliche Erscheinungen" des Raums für Kunst, das Untersuchungsprojekt "DEpPRIVAT" der Architekten des Forum Stadtpark. Neben dem "musikprotokoll 98", den Musikveranstaltungen wie dem Hör-Fest Stainach, dem Jugendmusikfest Deutchlandsberg und dem Programm der muerz werkstatt entsteht in Zusammenarbeit mit dem Magazin für Popkultur Spex das Projekt "Spex präsentiert: 4 Plattenläden für Graz & Musik aus Köln im Reininghaus". Es steht nicht nur für eine Reihe von Musik-Ereignissen, sondern das Projekt transferiert mit den vier Plattenläden vier Szenen, die die ökonomische und Produktions-Basis für die Protagonisten, einen sozialen und künstlerischen Kommunikationsort darstellen, als bestimmenden Kontext mit an den Festival-Ort.

In seiner Ereignishaftigkeit könnte man den Theaterschwerpunkt mit sechs Uraufführungen als künstlerisches Gegenstück zum Projekt "Kunst und globale Medien" sehen. Aber auch Theater steht trotz seines Live-Charakters, trotz des definierten institutionellen Rahmens im Kontext der Produktions- und Rezeptionsbedingungen, die von der Medien- und Unterhaltungsindustrie vorgegeben und geprägt werden. Die Stücke, im Genre vom Königsdrama zum Straßentheater reichend, handeln von den Mechanismen und Strukturen des österreichischen Staatszirkus und seiner Helden, vom Theater hinter den Untiefen der TV-Unterhaltung, von der Wiedergeburt der Tragödie als Space-Opera, von der Erlösung und Verstörung durch die Sinnlichkeit und die Kunst.

Mit seiner Inszenierung "Künstler gegen Menschenrechte. Chance 2000 für Graz" wird Christoph Schlingensief die "Zonen der Verstörung" dieser Stadt sichtbar machen, Zonen und Betroffene, die wir gerne ignorieren, deren Anwesenheit in unserer Stadt wir aus unserem Blick- und Handlungsfeld ausblenden wollen: jene, die aus der Geldgesellschaft hinausgefallen sind. Dabei will Chance 2000 auch paradox zur Tat schreiten: "Schmeißen Sie Ihr Geld weg und retten Sie die Marktwirtschaft. Und vielleicht Ihre sterbliche Seele! Und sagen Sie es weiter!"

In seiner Studie "Das Elend der Welt" fordert Pierre Bourdieu dazu auf, "sich in paradoxem Denken zu üben, einem Denken, welches gegen den Strich des gesunden Menschenverstandes und der guten Absichten bürstet!" Eine Kunst, die sich bewußt im Kontext verschärfter gesellschaftlicher Bedingungen ansiedelt, macht uns vor, wie das geht.


Christine Frisinghelli